Ein Gastbeitrag von Sven Nürnberger
Das was uns berührt, können wir mit Pflanzen ausdrücken.
Vergleicht man die unterschiedlichen weltweiten Küstengebiete, so fanden bislang nur ein Bruchteil von Küstenpflanzen Einzug in die Gartenkultur. Und oft wurden diese Pflanzen dann aus ihrem ursprünglichen Vegetationskontext herausgenommen und auf andere Weise gestalterisch verwendet.
Dabei liegt es so nah, dieses Thema in der Gartenkultur ganzheitlich aufzugreifen, die Stimmungen, den Ausdruck der Pflanzen in einem Gartenbild abzubilden. Gerade in den Zeiten des klimatischen Wandels sind Konzepte wie dieses sehr willkommen.
Sie richten den Blick auf ganz neue Möglichkeiten, wenn man nur offen ist und neue Gedanken zulässt. Ich habe Sven Nürnberger aus dem Frankfurter Palmengarten eingeladen, uns seinen neuen Küstengarten vorzustellen.
Sven Nürnberger absolvierte im Palmengarten in Frankfurt am Main die Ausbildung zum Zierpflanzengärtner. Nach der Meisterausbildung 2004 arbeitete er zunächst im Botanischen Garten der Universität Heidelberg, bevor er 2009 wieder in den Palmengarten zurückkehrte.
Sven arbeitet im Palmengarten Frankfurt in leitender Position und ist mit der Planung und Betreuung von botanischen Themengärten und Schauanlagen betraut.
Die Beobachtung von Lebensgemeinschaften am Naturstandort und die anschließende gärtnerische Interpretation gehören zu seinen großen Leidenschaften. Seit Beginn der 90er-Jahre beschäftigt er sich unter anderem mit globaler Vegetationskunde, der Pflanzenwelt der Südhalbkugel, Gebirgspflanzen und der Verwendung von Stauden. Regelmäßig unternimmt er spannende Reisen zu den Wildstandorten der Pflanzen.
Es fühlt sich an, wie eine Zeitreise zu unserem Ursprung
Küstenlandschaften sind ausdrucksstark, eigen und ziehen uns magisch an.
Wir erleben eine Einbindung in eine Welt, die von Minimalismus und spezifischen Strukturen lebt.
Farbe, Kontur und Licht. Wetter, Topografie und Geologie.
Komponenten, die eine lebensbejahende Stimmung erzeugen. Wir fühlen uns eingebunden in Weite und den Kreislauf des Lebens. Harsche Naturgewalten und sanftes Lichtspiel. Vergänglichkeit und Wiederaufbau.
Es fühlt sich an, wie eine Zeitreise zu unserem Ursprung.
Solche tiefen Stimmungen in den Garten zu übertragen erscheint im ersten Moment beinahe vermessen. Sind es doch gerade die Urgewalten, die spürbare Unendlichkeit, Zeitlosigkeit, die uns bei einer Küstenwanderung ergreifen. Doch gerade auch die visuellen Aspekte der vom Wind bewegten Natur, die jahreszeitlichen Veränderungen der Vegetation, die eigenständigen Farbnuancen von Pflanzen und Küstenrelief sind es, die uns in Erinnerung bleiben und die wir fotografieren, malen und schriftstellerisch beschreiben.
Diesen Schnittpunkt von Künsten und Eins sein mit einer Landschaft gilt es für eine authentische Gestaltung in das Gartenbild einfließen zu lassen.
Foto oben: Die Stranddistel (Eryngium maritimum), auch Meer-Mannstreu genannt, wächst am Marisucia-Strandes in Los Canos de Meca, Spanien
Fotos: Hier wächst auf Sand der Küsten-Meerkohl (Crambe maritima). Seine jungen gebleichten Stängel kann man wie Spargel zubereiten
Foto oben: Die Stranddistel (Eryngium maritimum) ist eine herrlich bizarre Strukturpflanze. Kombiniert man sie mit weich fließenden Gräsern, entsteht ein schöner Kontrast
Foto unten: Die Grasnelke (Armeria maritima) wächst hier an der Küste
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Wie lässt sich ein Küstengarten gestalten
Die Hinwendung zu den charakteristischen Eigenschaften von Küstenpflanzen kann eine bereichernde Weise sein mit Pflanzen umzugehen. Ob mit Grasnelken, Stranddisteln, Küsten-Meerkohl oder Sand-Weide – die Möglichkeiten vervielfältigen sich in der Verwendung von typischen Küstenpflanzen.
Küstenhabitate können zudem sehr unterschiedlich sein. Bezieht man die küstennahen Pflanzengesellschaften mit ein, so ergibt sich ein Pool von vielfältigen Möglichkeiten landschaftsähnlich zu arbeiten.
Die Modellierung und die Vorliebe für bestimmte gerüstbildende konturstarke Pflanzen stehen hierbei am Anfang der Planung. Folgende Fragen tauchen weiter auf:
Besteht die Option das Gartenbild hügelig, dünenartig oder mit Findlings- oder Felselementen zu gestalten?
Oder soll das Gesamtbild eher flach verlaufen?
Welchen Ausdruck möchte ich der Bodenauflage verleihen, z. B. Abdeckung mit Kies, Sand oder Grus?
Mit welchen Leitpflanzen/Gerüstbildnern kann ich die Modellierung effektvoll unterstützen?
Welche Pflanzen sollen mein Konzept prägen, sowohl im Gesamtbild als auch saisonal.
Foto oben: Die Zistrose ist eine mediterrane Pflanze mit besonderes exotischer Ausstrahlung. Ihre Standortbedürfnisse passen gut zum Konzept eines Küstengartens.
Foto unten: Küstengarten vor der Hauptblüte im Juni, Palmengarten Frankfurt
Der Küstengarten im Palmengarten Frankfurt
Das im Jahre 2017 entstandene Küstenbeet im Frankfurter Palmengarten zeigt auf, wie an einem Weiherufer ein Küstenthema auf interessante Weise interpretiert und umgesetzt wurde.
Die Grundidee resultierte aus der Not den anstehenden invasiven Japanischen Knöterich zu eliminieren und die Pflanzfläche an dieser Stelle wieder vollständig nutzbar zu machen.
Mit einem Geotextil/Unkrautvlies wurde die modellierte zum Ufer geneigte Fläche vollkommen gegen den Knöterich versiegelt. Auf das für Wasser durchlässige Vlies wurde eine 30 cm hohe Schicht ungewaschener Sand aus dem Frankfurter Stadtwald aufgetragen. Stellenweise betrug die Abdeckung an den Rändern auch nur 10 cm. Hier wurden Trockenstress verträgliche Arten, wie Helichrysum italicum ssp. microphyllum als Schleppe eingesetzt.
Zueinander parallel verlaufende Dünen von 70 bis 80 cm wurden locker mit der Sandweide bepflanzt und mit Pionieren benachbart. Außer auf den Dünen wurde die gesamte Fläche mit Rheinkies und kleineren Findlingen abgedeckt.
Gerüstbildend wurden neuseeländische und australische Küsten-Tussock-Gräser, mediterrane silbrige Zwergsträucher, wie Helichrysum italicum; Küsten-Meerkohl, Gemüse-Kohl aus Helgoland, Stranddisteln und Zistrosen miteinander kombiniert. Der feuchtere Ufersaum wurde mit Angelica archangelica, Phormium 'Bronze Baby' und Poa cita bestückt.
Eine Barriere aus stachligem Geäst verhalf zum Abwandern der Nilgänse, die die Pflanzung zu Beginn sehr stark schädigten. In dieser schützenden Barriere neigen jedoch Erlensämlinge, Disteln und Weidenröschen zur schnellen Verbreitung, so dass 2-3 Jätegänge an dieser Stelle notwendig sind. Insgesamt liegt der Pflegeaufwand derzeit aber im extensiven Bereich. Aufgrund der durchlässigen geringen Bodenauflage, den Temperaturspitzen und der Mineralmulchschicht ist der Jäteaufwand insgesamt gering.
Foto oben: Hier im Palmengarten Frankfurt sind Strohblumen (Helichrysum italicum) und Stranddisteln (Eryngium martimum) spannungsreich kombiniert. Kalifornischer Mohn ist dazwischen locker eingestreut.
Foto oben: Nach der Blüte wirken die Pflanzenstrukturen im Zusammenspiel mit den Steinen. Der Kalifornische Mohn (Eschscholzia californica), auch als Goldmohn oder Schlafmützchen bezeichnet versamt sich uns sorgt auch bis in den Spätsommer für Farbakzente.
Foto unten: Aber es muss gar nicht so viel blühen. Im Küstengarten bringen Steine, strukturreiche Pflanzen, wie die Stranddisteln und Schwemmholz das richtige Küstenflair
Mit Pflanzen Stimmungen erzeugen
Die Pioniere, wie Helichrysum italicum, Cistus-Arten und diverse Gräser, sowie die an Derek Jarmans Garten angelehnte Verwendung von Eschscholzia californica, versamen sich zuverlässig, aber keineswegs invasiv.
Neben südpazifischen und kalifornischen Exoten wurden auch südamerikanische Pflanzen miteinbezogen. Die Verbindung aus heimischer, südwesteuropäischer und fremdländischer Flora lässt eine eigene Stimmung und Aspektbildung entstehen und kann saisonal durch Hochblüte, Fruchtstände, Wuchsformen, Farben und Kontraste berühren und überraschen.
Einige der Küstenpflanzen finden sich im Gräsergarten des Palmengartens wieder. In einem durchlässigen Substrat aus Lavasand sind dort Crambe maritima, Sträucher des küstennahen neuseeländischen Scrub, südhemisphärische Küstengräser mit Pampasgräsern, mediterranen Sträuchern, Ravenna-Gras, Eucalyptus, südafrikanischen Gebirgspflanzen und unterschiedlichsten Steppenbewohnern kombiniert. Farben, Konturen und Anpassungen sind bei vielen Arten ähnlich und harmonieren daher im Zusammenspiel.
Die Pflanzung wird von einer Kieszunge durchzogen, die der Kulisse eine eigene Stimmung verleiht.
Foto oben: Strandroggen (Leymus arenarius) sind typische Küstenbewohner. Sie sind wuchsfreudig, robust und trockenheitsverträglich.
Foto unten: Hier wächst das horstbildene Gras, das Magellan-Blaugras (Elymus magellanicus) mit dem Meerträubel (Ephedra) und vermittelt Küstenfeeling
Foto oben links: Disteln und auch die Stranddistel hat Versamungspotential. So erhält sie sich selbst. In dem Kies oder Sand lassen sich die Sämlinge leicht ziehen.
Foto oben rechts: Kohl? Ja! der Gemüse Kohl (Brassica oleracea) wächst an den Küstenfelsen des Atlantiks von Spanien bis Südengland sowie auf Helgoland. Dieser Kohl ist sogar strauchig und mehrjährig.
Seit 2008 ist Sven als Autor tätig. Er schreibt unter anderem Fachbeiträge für die Zeitschrift Gartenpraxis. Hast du Lust mehr über Sven Nürnberger zu erfahren? Dann möchte ich dir seine Bücher ans Herz legen.
In 2019 wurden seine Bücher "Wild Garden – Gärten naturalistisch gestalten"* und „Palmengarten Frankfurt am Main“* veröffentlicht.
Der Palmengarten in Frankfurt am Main gehört seit seiner Gründung im Jahr 1868 zu den großen botanischen Gärten mit Weltruf. Auf 22 Hektar entwickelte sich im Herzen der pulsierenden Großstadt eine der weltweit größten Pflanzensammlungen.
Welche Lebensbedingungen herrschen am Naturstandort? Mit dieser Erkenntnis sowie der gärtnerischen Ableitung und gestalterischen Interpretation beschäftigt sich dieses anspruchsvolle Gartenbuch.
Vielleicht ist dieser Ansatz, so einen Wild Garden mit Küstenflair auch eine gute Zukunftsidee (gerade wenn es heißer und trockner wird).
Es gibt so viele Möglichkeiten sich gärtnerisch mit dem klimatischen Veränderungen auseinanderzusetzten und zu wandeln, wenn man dazu bereit ist.
Ich möchte mit diesen Blogbeiträgen den Blick auf diese tollen und kreativen Ideen schärfen und hoffe, es ist ein wenig gelungen.
Danke vielmals Sven!
Bleibt optimistisch und kreativ
Eure Petra
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